Attentismus steht für eine Abwartehaltung, bei der politische oder wirtschaftliche Handlungen aufgrund voraussichtlicher Veränderungen aufgeschoben werden. Der Begriff Attentismus wurde ursprünglich für die Politik geprägt. Geprägt wurde der Begriff in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg und stand für zögerndes Hinausschieben politischer Entscheidungen angesichts unklarer politischer Entwicklungen in Frankreich und später in Deutschland in der Weimarer Republik. Inzwischen wird der Begriff Attentismus vornehmlich für Verzögerungen von Aktionen in der Wirtschaft verwendet. An den empfindlichen Börsen sind Reaktionen von Verzögern und Innehalten bereits bei leisesten Andeutungen von Veränderungen im Wirtschaftsgeschehen eines Landes oder bestimmter Märkte spürbar.
Inhalt
Wirtschaft – Attentismus
Attentismus lässt sich ständig in allen Wirtschaftsbereichen von der produzierenden Industrie bis zu den Finanzmärkten beobachten. Im Zuge der allgemeinen Globalisierung haben Eingriffe in die Wirtschaft eines Landes, z.B. im Bereich des Bankwesens oder der Industrie bereits weit reichende internationale Folgen. Unternehmen verzögern dann die Inangriffnahme von Investitionen, Handelsverträgen, die Aufnahme frischen Kapitals und mehr. Zumeist ist Attentismus in der Wirtschaft sehr eng mit dem politischen Geschehen verbunden. Beispiele für solche Verknüpfungen sind beispielsweise entscheidende politische Richtungswechsel, die sich zukünftig markant auf bestimmte Wirtschaftsbereiche oder sogar die Weltwirtschaft auswirken können. Im Einzelfall werden Handelsverträge, Exporte und Importe zögernd zurückgehalten bis sich die politische Situation in einem Land oder einer Region geklärt hat. So beeinflusste z.B. die Wirtschaftskrise in Griechenland nicht nur politische und wirtschaftliche Entscheidungen in der EU, sondern auch international. Unternehmen nahmen vorläufig von geplanten Expansionen und Investitionen Abstand. Attentismus muss nicht die gesamte Wirtschaft gleichermaßen erfassen. Drohende kriegerische Auseinandersetzungen, Gefahr von Bürgerkrieg oder bereits eintretende kriegerische Aktionen bewirken, dass die Aktionen bestimmter Wirtschaftszweige zurückgehalten werden, während andere Branchen (Rüstungsindustrie und Zulieferer) Aufschwung und wirtschaftliche Stärkung erleben.
Attentismus auf dem Finanzsektor, bei der Börse
Insbesondere die Börsen sind international extrem verflochten. An Aktien- und Devisenmärkten führen bereits kleinste Erschütterungen zu empfindlichen Störungen der Systeme. Es genügen meist schon Gerüchte, damit Anleger sich erst einmal in eine abwartende Stellung begeben. Aktionäre verzögern geplante Aktienverkäufe, wenn verlautet, dass hier später Gewinnsteigerungen erwartet werden können. Der Handel bestimmter Aktien stagniert aufgrund dieser Abwartehaltung. Ein Aufwärtstrend beim Wert bestimmter Aktionen kann ebenfalls zum Attentismus führen. Die Anleger gehen zeitweilig in Wartehaltung, weil sie für geplante Verkäufe eine weitere Erhöhung des Werts erwarten. Dagegen kann die Befürchtung, dass bestimmte Aktien demnächst empfindlich an Wert einbüßen werden zum Gegenteil vom Attentismus, dem Aktionismus, führen. Die Anleger beginnen, in großer Anzahl die unsicheren Papiere zu verkaufen.
Attentismus bei Krediten
Sowohl bei der Aufnahme wie bei der Abgabe von Krediten kann es zum Attentismus kommen. Verlautet die Tendenz, dass die EZB demnächst eine Zinssenkung vornehmen wird, können Unternehmen wichtige geplante Investitionen hinauszögern, um bei künftigen Krediten von den künftig geringeren Zinsen zu profitieren. Auch Privatkunden, die nicht dringend auf einen Kredit angewiesen sind, werden sich zurückhalten, um besonders die langfristigen Baufinanzierungen und ähnliche große Vorhaben auf einen Zeitpunkt jenseits der Zinssenkung vorzunehmen. Sind Zinserhöhungen geplant, könnten Kreditgeber dagegen eine abwartende Haltung einnehmen, um Neuverträge zu den besseren Zinssätzen abzuschließen. Da der Geldfluss aus Krediten (primär Kredite für Unternehmen) einen erheblichen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung hat, sind solche Attentismus-Haltungen spürbar in der Gesamtwirtschaft.
Tendenzen durch Attentismus in Wirtschaft und Politik
Die kurzfristige Handlungsverzögerung kann im Unternehmen sowie bei politischen Maßnahmen vorteilhaft sein. Das ist allerdings nur dann der Fall, wenn der kurzfristige Attentismus positive Veränderungen zur Folge hat, die die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Politik wie Wirtschaft sind häufig gezwungen, Entscheidungen und Investitionen zu verschieben, weil diese z.B. abhängig von Entscheidungen in den USA sind. An der Börse hat begrenzter Attentismus betreffs bestimmter Papiere solange keinen dramatischen Einfluss, wie er die Grundstimmung der Börsen nicht nachhaltig negativ beeinflusst. Grundsätzlich schlägt Attentismus jedoch in der Regel negativ aus. Abwarten und Stillhalten ist gleichbedeutend mit Stillstand und das ist für jede Branche, jedes Unternehmen, die nationale wie die internationale Wirtschaft eine Entwicklungshemmung. Abwartehaltungen bedingen, dass erforderliche wirtschaftliche Maßnahmen nicht vorgenommen. Auf dem wirtschaftspolitischen Terrain ist das gut zu beobachten, wenn beispielsweise notwendige Veränderungen der Steuern lange verzögert werden. Einerseits entspringt Attentismus immer einer Unsicherheit. Andererseits bewirkt Attentismus die weitere Verstärkung von Unruhe und Unsicherheit. Hält solche abwartendes, inaktives Verhalten länger an, führt es zur Schwächung der Wirtschaft bzw. eines Wirtschaftszweiges, eines Unternehmens.
Attentismus kann ein gesundes Gefüge von Angebot und Nachfrage empfindlich stören. Zu Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit halten Konsumenten häufig Gelder lieber zurück, um sich für eine Verschlechterung der Wirtschaftslage ein finanzielles Polster zu schaffen. Private Konsumenten verzichten auf Ausgaben, weil sie keine Perspektiven für eine Erhöhung des Einkommens erwarten und ihre aktuell noch sichere Wirtschaftslage sich sogar verschlechtern könnte. Warenmangel hat ähnliches Verhalten zur Folge. So wurden beispielsweise bei der teils eklatanten Mangelwirtschaft und fehlender Möglichkeiten privater Investitionen in der einstigen DDR Gelder angespart und dem Umlauf vorenthalten.
Bleiben gesamtwirtschaftlich wichtige staatliche Maßnahmen und politische Entscheidungen aus, kann das zum Attentismus bestimmter Wirtschaftszweige führen. Entwicklungen in die Richtung Deflation haben ebenfalls Attentismus sowohl beim Konsum wie auch bei unternehmerischen Investitionen zur Folge. Negative Auswirkungen auf die Anlage- und Konsumbereitschaft können auch Verzögerungen einer längst überfälligen Auf- und Abwertung der Währung haben.
Beim Attentismus in der Wirtschaft müssen die Ursachen erkannt werden, um die richtigen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Attentismus ist gewöhnlich eine Reaktion auf Unsicherheit und fehlende Perspektiven sein. Konkrete Ursachen können abrupte gesellschaftliche Umbrüche, fehlende Transparenz oder Desinformation bei politischen Entscheidungen und wirtschaftlichen Daten sein. Rechtsunsicherheit und Beschneidung der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit durch eine aufgeblähte, undurchsichtige Bürokratie befördern ebenfalls Attentismus.
Je länger Attentismus in der Wirtschaft anhält, desto größer ist die Gefahr, dass er sich in Lethargie wandelt. Die Folgen sind mangelnde wirtschaftliche Dynamik, Rückgänge des Warenangebots, Rückgang der allgemeinen Leistungsbereitschaft, was zu einer gefährlichen Abwärtsspirale führen kann. Umso entscheidender ist es, rechtzeitig notwendige politische und wirtschaftliche Maßnahmen zu ergreifen. Anhaltendem Attentismus muss entgegnet werden. Langfristige Zurückhaltung auf den Märkten kann die Politik zu erforderlichen Veränderungen zwingen. Betrifft der Attentismus eine Branche, einen Wirtschaftszweig oder die Entwicklung eines Unternehmens, setzen in der Regel meist Maßnahmen zur Regulierung ohne äußere Einmischung, ähnlich wie bei der Börse ein. An den Börsen kommt es gewöhnlich zur Selbstregulierung, indem eine zurückhaltende Phase (Bärenzeit) von neuer Aktivität (Bullenphase) abgelöst wird.
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