Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nun bereits zum zehnten Mal in Folge den Leitzins angehoben und markiert damit eine Rückkehr zur herkömmlichen Finanzdynamik. Die Aufnahme von Krediten ist wieder mit finanziellen Aufwendungen verbunden, während Sparer bessere Zeiten erleben. In den letzten Jahren, die von minimalen Zinssätzen, Phasen niedriger Zinsen und sogar negativen Zinsen geprägt waren, haben viele Menschen die Gelegenheit genutzt, Autos, Fernseher und Sofas auf Raten zu kaufen. Sie haben von den Null-Prozent-Angeboten des Einzelhandels profitiert. Doch vor Kurzem hat beispielsweise ein Kunde eine Erfahrung gemacht, die ihn an vergangene Zeiten erinnerte. „Ich sollte neun Prozent Zinsen für den Kauf des neuen Fernsehers zahlen“, erzählt dieser. Er lehnte dieses Angebot dankend ab und entschied sich stattdessen dafür, das Gerät in bar zu bezahlen, wie es früher üblich war.
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Normalität setzt sich wieder durch
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING, betrachtet dies als ein typisches Beispiel dafür, dass sich die traditionelle Normalität wieder durchsetzt. Er erklärt: „In der traditionellen Normalität sind Kredite mit Kosten verbunden.“ Null-Prozent-Finanzierungen werden daher immer seltener angeboten.
Möbelhäuser haben während der Niedrigzinsperiode besonders intensiv für solche Marketinginstrumente geworben. Im Möbelhaus Segmüller in Weiterstadt (Südhessen) gab es noch bis Anfang September eine Null-Prozent-Finanzierung für 72 Monate, während sie derzeit nur noch halb so lange, nämlich 36 Monate, beträgt. Sascha Kaminski, Geschäftsführer des Möbelhauses, gibt zu verstehen, dass weitere Verkürzungen in Betracht gezogen werden könnten, falls die Zinsen weiter steigen. Er sagt: „Letztendlich könnten wir wieder zu einer zwölfmonatigen zinsfreien Option zurückkehren, so wie es in den frühen 2000er Jahren bei ihrer Einführung der Fall war.“
Ratenkauf ist teurer geworden
Die Finanzierung von Käufen auf Raten wird teurer, wenn man dafür einen Konsumentenkredit in Anspruch nehmen möchte. Innerhalb von zwei Jahren hat sich der durchschnittliche Zinssatz für ein Darlehen in Höhe von 5.000 Euro über 36 Monate von 3,6 Prozent auf aktuell 7,2 Prozent verdoppelt, wie der FMH-Zinsvergleich zeigt. Diese Entwicklung ist auf die Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt zurückzuführen. Nach zehn aufeinanderfolgenden Erhöhungen liegt der Leitzins aktuell bei 4,5 Prozent, so hoch wie noch nie seit der Einführung des Euro vor über 20 Jahren.
Die EZB verfolgt mit diesem drastischen Zinsanstieg das Ziel, die hohe Inflation einzudämmen, da höhere Zinsen die Nachfrage drosseln. Carsten Brzeski erläutert den Zusammenhang: „Die Kreditaufnahme wird teurer, was dazu führt, dass sich Menschen und Unternehmen weniger leisten können.“ Dies wiederum führt zu einem Rückgang der Nachfrage. Bei gleichbleibendem Angebot sinkt dann der Preis, in diesem Fall die Inflation.
Ein praktisches Beispiel hierfür findet sich am Hallendach des Unternehmens Stöckel Werkzeugmaschinen in Herborn (Hessen). Eine Sanierung, die das Familienunternehmen mit einem Kredit finanzieren müsste, würde 100.000 Euro kosten. Geschäftsführer Felix Kämpfer erklärt jedoch: „Angesichts des aktuellen Zinsniveaus verschieben wir diese Investition.“ Ähnlich handeln auch seine Kunden, die nun weniger Schleifmaschinen bestellen. Der Zinsanstieg bremst also die Wirtschaft. Nach Auffassung von Carsten Brzeski ist die EZB bereit, eine Rezession im Euroraum in Kauf zu nehmen, um die Inflation zu bekämpfen.
Privatpersonen und Unternehmen müssen mehr bezahlen
Sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen müssen mehr zahlen, wenn sie einen Kredit benötigen. Im Gegensatz dazu können sich Sparer über die Zinssteigerung freuen. Ein Rentner, der sein Geld anlegen möchte, sagt hierzu: „Ich habe lange Zeit darauf gehofft, dass die Zinsen wieder steigen, und jetzt habe ich wieder die Auswahl zwischen verschiedenen Angeboten mit vier Prozent oder mehr.“ Die Inflation mindert zwar immer noch den Wert des Geldes, aber nicht mehr so stark wie zuvor. Die Aussichten für Sparer sind laut Carsten Brzeski so gut wie schon lange nicht mehr: Die jüngste Zinserhöhung der EZB wird an die Sparer weitergegeben, und die Inflationsrate wird in den kommenden Monaten voraussichtlich weiter zurückgehen. Brzeski prognostiziert: „Am Ende des Jahres werden die deutschen Sparer wieder einen positiven Realzins erhalten.“ Das bedeutet, dass die Zinsen höher sind als die Preissteigerungen, sodass der Wert des gesparten Geldes steigt. Die traditionelle Normalität ist also zurückgekehrt: Sparen lohnt sich, und das Leihen von Geld kostet Geld.