Mit großen Vorschusslorbeeren vor einem guten halben Jahr gestartet, kommt der neue Personalausweis bislang noch nicht wirklich in Schwung. Doch nicht nur beim einzelnen Bürger scheinen die Vorbehalte gegenüber dem derzeit “modernsten Identifikationssystem der Welt” (so der O-Ton des damaligen Innenministers Thomas de Maizière anlässlich der Markteinführung) groß zu sein, auch die Banken halten sich bislang auffällig zurück. Die Zeiten, in denen sich die Kredit-Institute einen Marketing-technischen Entwicklungssprung mit dem scheckkartengroßen neuen Personalausweis (nPA) erhofften, scheinen vorerst vorüber.
Eine der Hauptursachen für die bisherige Zurückhaltung der Verbraucher mag vor allem der hohe Anschaffungspreis für den neuen „Perso“ sein: Sobald das alte Modell abgelaufen ist, sind 28,80 Euro für die neue Version mit integriertem Elektronikchip fällig – mehr als dreieinhalb mal so viel wie bisher (und etwaige Nebenkosten für Lesegerät und PIN-Freischaltung noch nicht dazu gezählt). Doch welchen Gegenwert bietet der neue Personalausweis dafür?
Inhalt
Der neue Personalausweis im Überblick
Im Grunde genommen hat der neue Personalausweis nur noch wenige Gemeinsamkeiten mit seinem Vorgänger. Zentrales Element ist ein Speicherchip für Name, Geburtsdatum und -ort, Meldeadresse, Gültigkeitsdauer, Serien- und Zugangsnummer sowie für ein biometrisches Foto. Auf Wunsch lassen sich dort auch zwei digitale Fingerabdrücke eintragen.
PIN-Identifikation (eID) und digitale Unterschrift (QES) als neue Funktionen
Aufgrund der Digitalisierung der Informationen ergeben sich mit dem neuen Personalausweis eine Vielzahl neuer Funktionen und Einsatzzwecke. Wesentlich sind dabei die so genannte elektronische Identifikation (eID) sowie die digitale Unterschrift. Für die neuen Funktionen sind jedoch sowohl im Software- wie im Hardware-Bereich zusätzliche Anschaffungen in Form einer AusweisApp und digitaler Lesegeräte (mit oder ohne eigene Tastatur) notwendig.
Wichtigstes Tool für die neue Identifikationsfunktion des nPA ist die PIN-Nummer, die jeder Bürger zusammen mit dem neuen Ausweis erhält. Sobald diese freigeschaltet (und auf einen persönlichen sechsstelligen Code geändert wurde), kann sich jeder Bürger damit am PC ausweisen. Für das Dechiffrieren der Identifikationsdaten ist jedoch ein zusätzliches Lesegerät nötig.
Die Unterschrift-Funktion ist eine weitere Option, die man dem nPA zuweisen kann. Sie dient ausschließlich dem Zweck, auch am PC oder Laptop rechtsverbindlich zu unterzeichnen. Das dafür nötige Lesegerät ist aber wegen der integrierten Tastatur ab etwa 60 Euro deutlich teurer. Die Anschaffung soll jedoch mit einer Prämie von 25 Euro belohnt werden.
Egal, ob einfaches Standard-Lesegerät (gibt es mittlerweile ab etwa 10 Euro überall im Fachhandel oder teilweise kostenlos im Zusammenhang mit Werbeaktionen neuer Anbieter) oder Komfort-Lesegerät (Top-Modelle im Fachhandel werden auch jenseits der 100-Euro Schwelle angeboten) mit integrierter Tastatur: Beide Systeme funktionieren nur, wenn sie per USB-Kabel mit dem PC oder Laptop verbunden sind. Übrigens: Besonders leistungsfähige Kartenleser sind auch für die elektronische Gesundheitskarte der Krankenversicherer geeignet.
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten – doch bisher nur wenige Anbieter
Grundgedanke bei der Entwicklung des nPA war, ein Identifikationssystem zu schaffen, das den Anforderungen des digitalen Zeitalters mehr als genügt. Mögliche und teilweise auch schon realisierte Einsatzbereiche sind vor allem beim Onlinebanking, in Ämtern und Behörden (eGovernment) oder bei Händlern (eCommerce) vorzufinden – soweit diese das Verfahren anbieten.
Doch genau hier tritt das bisherige Dilemma beim Thema Neuer Personalausweis offen zutage. Seit einem Testlauf im vergangenen Jahr, als 18 Unternehmen, Dienstleister und Behörden den Grundstock für den Start in das neue Zeitalter wagten, sind kaum neue Anbieter dazugekommen. Bis zum heutigen Tage sind auf dem Personalausweisportal des Innenministeriums gerade einmal knapp über 50 Anwendungen für den Einsatz mit dem neuen Mikrochip-Ausweises zertifiziert.
Zahl der Anbieter und Anwendungen nimmt nur langsam zu
Wirft man ein Blick auf die Liste der aktuell legitimierten Anbieter, lässt sich zwar ein gewisser Querschnitt durch alle Sektoren der Arbeitswelt erkennen, von einer richtigen Vielfalt bei der Auswahl ist man jedoch noch weit entfernt. Hervorzuheben sind jedoch die behördlichen Angebote: Hier haben zum Beispiel die Deutsche Rentenversicherung, das Kraftfahrt-Bundesamt und die Bundesagentur für Arbeit eine Vorreiterrolle für den Einsatz des nPA übernommen, die dem Bürger auch in der täglichen Praxis durchaus den eine oder anderen mühseligen Behördengang erspart. Auch einzelne Kommunen bzw. deren Stadtverwaltungen sind hier bereits vertreten.
Merklich zurückhaltender gibt sich bislang der privatwirtschaftliche Sektor: Neben einzelnen Unternehmen, die von Haus aus das Internet als Geschäftsgrundlage nutzen (soziale Netzwerke, Online-Game-Betreiber, Domainregistrierung), sind bislang auffällig viele Versicherungsanbieter vertreten, die sich vor allem beim e-Commerce neue Vertriebs- und Vermarktungsmöglichkeiten erhoffen.
Gleichzeitig fällt auf, dass gerade der Finanzsektor noch sehr unterrepräsentiert zu sein scheint. Nur die Deutsche Kreditbank DKB und einzelne Sparkassen waren an der Entwicklung und bei der Testphase des nPA beteiligt. Dass sich mit der Einführung des neuen Identifikationssystems gerade im Bereich Ratenkredite einiges bewegen lässt, hat bislang jedoch nur die Teambank mit ihrem Produkt easyCredit entdeckt. Welches Potential sich hier speziell der Kredit-Branche eröffnet, soll später noch näher erörtert werden.
Unabhängig von der Zahl der Anbieter ist es jedoch wichtig, ob der neue Personalausweis die bislang in ihn gesteckten Hoffnungen auch in der alltäglichen Praxis bereits erfüllen kann. Vorab schon einmal die Information: Hier ist noch viel Arbeit zu leisten.
Der neue Personalausweis in der bisherigen Praxis
Bereits die relativ hohen Anschaffungskosten plus die zusätzlich benötigten Lesegeräte verdeutlichen eines: Beim neuen Personalausweis handelt es sich um ein technisch sehr aufwändiges Produkt. Insbesondere die Verwendung der hochempfindlichen Chipspeicher-Technologie und deren zwangsläufige Koppelung an digitale Lesegeräte haben zur Folge, dass der Einsatz in der täglichen Praxis noch nicht reibungslos läuft.
Das Verbraucherportal test.de hat bei einem ersten Praxistest am PC zahlreiche Schwächen von der falschen Fehlermeldung bei der Verwendung der benötigten AusweisApp bis hin zu Systemverweigerungen oder gar -Abstürzen bei Nicht-Zulassung von Cookies (Datenpakete zur Identifikation des Users) feststellen.
Koppelung an Lesegeräte
Auch die für einen vollumfänglichen Einsatz benötigten Lesegeräte sind bereits mit dem Start des neuen Personalausweis-Systems zum Problemfall geworden. Und zwar in vielerlei Hinsicht: So ist die bislang vorgesehene flächendeckende Versorgung der Ausweisinhaber mit (teilweise sogar kostenlosen) Standardgeräten ebenso wenig erfolgt wie eine akzeptable Preisgestaltung. Als Grundproblem bleibt vor allem für viele Verbraucher die durchaus verständliche Frage: Warum muss so ein Lesegerät überhaupt sein? Und warum soll ich mich dann sogar zwischen zwei Varianten entscheiden?
Ein weiterer mit der Einführung des nPA verbundener negativer Nebeneffekt hat eine eher soziologische Komponente: Ältere und so genannte bildungsferne Verbraucher-Schichten, die mit dem Internet wenig anfangen können oder teilweise gar keinen PC besitzen, werden fast zwangsläufig von den privaten Einsatzmöglichkeiten des neuen Ausweises ausgeschlossen. Der nPA ohne Koppelung an einen Kartenleser bleibt für diese Verbraucher nichts anderes als eine besonders teure Plastikkarte mit allen wichtigen persönlichen Daten.
Schlagzeilen machten die neuen Lesegeräte jedoch erst, als Hacker vom Chaos Computer Club den neuen Ausweis im Auftrag des TV-Magazins Plusminus auf mögliche Manipulationsmöglichkeiten untersuchten. Das ernüchternde Ergebnis: Wurde lediglich ein Standard-Lesegerät ohne integrierte Tastatur verwendet, konnten auf dem PC installierte Schadprogramme den eingegeben PIN-Code mühelos knacken.
Der neue Ausweis hat vor allem bei den Älteren Akzeptanzprobleme
Wasser auf die Mühlen der zahlreichen Kritiker des neuen Personalausweises sind womöglich auch die aktuellen Umfrageergebnisse des Security Index von Unisys.
Wie die Studie belegt, sind viele Befragte im Zusammenhang mit dem neuen Ausweis sehr um ihre Sicherheit besorgt. So glauben nur ein Drittel der befragten Deutschen, dass die Daten ihres neuen Personalausweises von den Behörden sicher gespeichert werden.
Besonders auffällig an der Umfrage ist die Kluft zwischen den Generationen: Während fast die Hälfte der jüngeren Befragten von 18 bis 24 Jahren 49 Prozent den Behörden im Hinblick auf die Datenspeicherung vertraut, sind dies bei den über 25-jährigen nur 32 Prozent.
Besonders signifikant: Bislang würden nur 20 Prozent der Befragten die neue elektronische ID (eID) des Personalausweises für Transaktionen im Internet nutzen. Ähnliche Werte (22 Prozent) verzeichnet die neue digitale Signaturfunktion (QES).
Digitale Ausweise beim Einsatz im europäischen Ausland
Die hier beschriebenen negativen Begleiterscheinungen seit Einführung des neuen Personalausweises verdeutlichen, dass das deutsche System im europäischen Vergleich zu kompliziert ist. Länder wie Spanien oder Belgien, die eID-Ausweise bereits in der zweiten Generation einsetzen, bevorzugen öffentliche Terminals statt privater Lesegeräte.
Die dort verbreiteten Ausweise dienen nicht nur zur Authentifizierung gegenüber den Behörden, wie die Experten Herbert Kubicek und Torsten Noack in ihrem Buch „Mehr Sicherheit im Internet durch elektronischen Identitätsnachweis?“ feststellten. Hier erfreut sich die vereinfachte elektronische Identifizierung ohne Chip und Lesegerät bereits bei simplen Restaurantreservierungen großer Beliebtheit.
Unter Umständen haben diese positiven Erfahrungen mit einer vereinfachten elektronischen Identifizierung auch deutsche Banken bewogen, dem neuen Personalausweis nicht sofort den roten Teppich auszurollen. Erst in etwa zehn Jahren, wenn die letzten alten Persos auslaufen, wird der nPA das derzeit übliche mobileTAN-Verfahren zur Identifizierung beim Online-Banking ablösen.
Zukunftsperspektiven für die Kredit-Branche
Glaubt man den Einschätzungen renommierter Unternehmensberater wie Dr. Ulrich Meyer, Leiter Financing and Core Banking bei Steria Mummert Consulting, wäre es jedoch bereits jetzt höchste Zeit, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Speziell die Kredit-Anbieter seien jetzt am Zuge, die Chancen, die sich Ihnen mit der Einführung des nPA böten, umgehend umzusetzen.
Ablösung des bisherigen PostIdent-Verfahrens
Wer schon einmal einen Onlinekredit beantragt hat, kennt das damit verbundene Procedere nur zu gut: Auch wenn Bonitätsprüfung und Kreditzusage in den meisten Fällen sofort online möglich sind, vergehen wegen des anschließenden Identifizierungsverfahrens per PostIdent und dem anschließenden Zurücksenden der unterschrieben Kreditunterlagen oft noch mehrere Tage, bis die Kreditsumme tatsächlich verfügbar ist.
In einem Beitrag für die Fachpublikation Bankmagazin ließ Dr. Meyer jedoch schon mal durchblicken, was mit dem neuen Personalausweis möglich wäre: „Eine entscheidende Verbesserung – vermutlich sogar eine Revolution im Antrags- und Genehmigungs- und somit im gesamten Kreditvergabeprozess – steht mit der Bereitstellung des elektronischen Personalausweises im Massengeschäft bevor.“
„Sobald hier eine ausgereifte, den regulatorischen Anforderungen entsprechende und vor allem kostengünstige Lösung bzw. Infrastruktur bereitsteht, wird die Kreditvergabe über das Internet die Geschäftsmodelle der meisten Banken signifikant verändern.“
Letztlich könnte der Wettbewerb zwischen den klassischen Filialbanken und den auf das Web fokussierten Online- und Direktbanken noch härter werden, „da mit dieser Innovation die entscheidende Hemmschwelle für die Kreditvergabe über das Internet verschwindet“, so das Fazit des Beraters im bereits erwähnten Fachartikel.
Schufa-Auskunft per eID bereits Realität
Womöglich kann die Kredit-Branche bis zum endgültigen Sieg der digitalen Revolution bei der Kreditvergabe von den Erfahrungen eines ihrer größten Vertragspartner profitieren. Die Schufa nämlich, zentrale Anlaufstelle aller deutschen Banken, wenn es um die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden geht, ist bereits seit der Entwicklungs- und Erprobungsphase des neuen elektronischen Personalausweises dabei.
Zumindest technisch scheint Deutschlands größte Auskunftei zu den Vorreitern zu gehören: Als eine der wenigen Anbieter war sie in der Lage, den User auf die bereits erwähnte Cookie-Problematik aufmerksam zu machen.
Fraglich ist jedoch, ob auch die Kreditbanken dem Beispiel der Schufa folgen sollten, den ohnehin schon teuren neuen Personalausweis nur in Verbindung mit einem kostenpflichtigen Service wie der kommerziellen Bonitätsauskunft verwenden zu können. Das könnte die bisherige Skepsis der Verbraucher womöglich noch weiter steigern.
Fazit
Bislang war die Einführung des neuen Personalausweises längst nicht so epochal, wie von dessen geistigen Vätern erhofft. Insbesondere auf Seiten der Politik bestehe erhöhter Handlungsbedarf, wie aus Äußerungen von Dietrich Schmitt, Geschäftsführer der Unisys Deutschland GmbH und Initiator des bereits erwähnten Security Index, hervorgeht:
„Die Behörden müssen einen Weg finden, die Bürger mit dem neuen Ausweis vertraut zu machen und ihre Bedenken auszuräumen“. Gleichzeitig „muss klar dargestellt werden, welche Technologien im Einsatz sind und welche Sicherheitsmechanismen genutzt werden, um die Daten der Bürger zu schützen.“
Aber auch seitens der Wirtschaft, unter anderem auch der Kreditbranche, muss einiges an Aufklärungsarbeit geschehen, damit sich die Bürger mit den technischen Möglichkeiten des neuen Personalausweises anfreunden können. Eine PR-Aktion wie die des Versicherers CosmosDirekt, der kostenlos 16.000 Lesegeräte an interessierte Kunden verteilte, mag hierfür exemplarisch sein.
Womöglich könnte jedoch auch die bislang auffallende Zurückhaltung auf Seiten der Privatwirtschaft den Bürger als eigentlichen Adressaten des neuen Identifikationssystems zusätzlich verunsichert haben. Solange sich dies nicht ändert, wird auch er den neuen elektronischen Personalausweis und seine Möglichkeiten links liegen lassen.