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Was bedeutet Nettokreditaufnahme?
Der Begriff Nettokreditaufnahme (auch Nettoneuverschuldung genannt) ist ein Begriff aus der Volkswirtschaftslehre. Er bezieht sich auf einen Zeitraum und die Neuverschuldung während dieses Zeitraums. Das heißt, die Nettokreditaufnahme ist die Summe aller aufgenommenen Kredite in dem Zeitraum minus der Summe der Tilgungen aus dem gleichen Zeitraum. Also wie viel neue Schulden wurden im Zeitraum gemacht. Typischerweise wird hier das Kalenderjahr als Referenzzeitraum betrachtet. Die Summe der aufgenommenen Kredite bezeichnet man auch als Bruttokreditaufnahme.
Verwendung der Nettokreditaufnahme
Als volkswirtschaftliches Instrument wird die Nettoneuverschuldung von der Zentralbank nicht auf einzelne Unternehmen oder Personen angewendet, sondern auf Wirtschaftssektoren. Üblich ist es hierbei die privaten Haushalte, die Unternehmen, die Finanzinstitute, den Staat sowie das Ausland zusammenzufassen und jeweils als einen Sektor zu betrachten. Jeder dieser Sektoren hat Einnahmen und Ausgaben. Der Überschuss an Ausgaben, also wenn die Ausgaben größer als die Einnahmen sind, spricht man auch von einem Defizit oder einem Ausgabenüberschuss.
An dieser Stelle kommt die Nettokreditaufnahme ins Spiel. Denn zum Ausgleich des Defizits können sowohl Kredite aufgenommen werden, als auch monetäre Reserven verbraucht werden. Da Tilgungen bereits in den Ausgaben enthalten sind, sind diese neuen Kredite als Nettokreditaufnahmen zu verbuchen. Die alternative Verwendung von Reserven wird in diesem Zusammenhang auch oft Innenfinanzierung genannt. Im Folgenden erklären wir das Zusammenspiel zwischen der Nettoneuverschuldung bestimmter Sektoren und deren Komplementär. Der Komplementär eines Sektors ist die Zusammenfassung der restlichen Sektoren.
Staatsverschuldung
Der gängigste Gebrauch der Nettokreditaufnahme ist die Bewertung der Staatsverschuldung. Wenn also in den Medien von der „Schwarzen Null“ in Bezug auf den Bundeshaushalt gesprochen wird, dann ist damit gemeint, dass die Nettokreditaufnahme Null ist. Insbesondere bedeutet das nicht, dass keine neuen Kredite aufgenommen wurden, sondern lediglich, dass genauso viel getilgt wird wie neu an Krediten aufgenommen wird. Auch bedeutet die schwarze Null, dass die Staatsverschuldung unverändert geblieben ist.
Sparen von privaten Haushalten
Betrachtet man einen geschlossenen Wirtschaftskreislauf, dann führt Sparen, also ein aufbauen von Reserven, zu einem Defizit in den anderen Sektoren. Vereinfacht gesagt, wenn der Bürger sein Geld nicht ausgibt, dann fehlen den Unternehmen Einkünfte – sofern sie nicht aus dem Ausland erwirtschaftet werden. In diesem Fall hat der Staat die Möglichkeit das Risiko verstärkter Konjunkturschwankungen zu minimieren, indem er Kredite aufnimmt und investiert. Dies geschieht dann über die Ausgabe von Staatsanleihen, die von Anlegern in stabilen Wirtschaftsnationen als sehr risikoarme Investitionen betrachtet werden.
Bezug zu Import und Export
Um die Verbindung zu Im-/Export zu verstehen, muss man den Sektor Ausland und sein Komplementär betrachten. Das Komplementär ist in diesem Fall alles was im Inland passiert zusammengefasst. Ein Exportüberschuss entsteht, wenn das Ausland ein Defizit hat. Das bedeutet insbesondere, dass mehr Geld ins Land hineinfließt als abfließt. Folglich wandern also entweder monetäre Reserven, sprich Ersparnisse, aus dem Ausland ins Inland oder die Nettoneuverschuldung des Auslands schließt diese Lücke.
Nettokreditaufnahme in der Währungsunion
Als Auslöser für die Eurokrise gilt, dass die Nettoneuverschuldung von Griechenland 2009 mehr als doppelt so hoch war wie prognostiziert – also über 12% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dieser Anteil der Nettokreditaufnahme am BIP wird auch Kreditfinanzierungsquote genannt. Zum Vergleich, die Deutsche Staatsverschuldung ist in dem Jahr um 8,3 % des BIP gewachsen. In Folge dessen wurde auch die Schuldenbremse in Deutschland beschlossen, die eine Deckelung der Neuverschuldung auf 0,35% des BIP vorsieht. Für die Bundesländer wurde die Nettokreditaufnahme gänzlich verboten. Es gibt jedoch drei Ausnahmen für das Kreditaufnahmeverbot. Diese sind vereinfacht dargestellt die Folgenden: erstens zum konjunkturellen Ausgleich im Falle eines wirtschaftlichen Abschwungs, zweitens in Fällen von Naturkatastrophen und drittens sofern mittelfristig ein ausgeglichener Haushalt geschaffen wird. Im letzten Fall ist die Beschränkung auf 0,35% des BIP dennoch gegeben.
Insbesondere hat sich die europäische Währungsunion eine Grenze für die Nettoneuverschuldung gesetzt, um den Wert des Euro stabil zu halten. Eine regelmäßige Überschreitung solcher Grenzen kann der Währung schaden. Auch die Gesamtstaatsschulden sollen durch 60 % des BIP begrenzt werden.
Limitierungen des Instruments bei der Risikobewertung
Die Nettoneuverschuldung und die daraus resultierende Änderung der Verschuldungsquote eines Landes, sowie die Kreditfinanzierungsquote, betrachten lediglich das tatsächlich fließende Kapital. Außer Acht gelassen werden eingegangene Verpflichtungen die zu zukünftigen Ausgaben führen können wie Beamtengehälter aber gegebene Garantien wie die Bankengarantien im Rahmen der Eurokrise. Dadurch ist die Nettokreditaufnahme ein Instrument, dass bewährt und gut geeignet ist zur Bewertung von Liquidität und Schuldenanstieg, jedoch Limitierungen aufzeigt bei der Bewertung zukünftiger Risiken.
Historische Zahlen
Um ein Gefühl für die Größenordnung der Nettokreditaufnahme zu bekommen, lohnt sich der Blick auf die Kreditfinanzierungsquote der letzten Jahre in Europa. Im Jahre 2015 war das Minimum der 28 EU Länder bei 5,7 % des BIP in Griechenland und das Maximum bei 1,4 % Überschuss in Luxemburg. Im Durchschnitt gab es ein Defizit von 2 % des BIP. Der Trend ist zu weniger Nettokreditaufnahme was man 2016 bereits erkennt. Der Schnitt senkt sich auf 1 % des BIP. Insbesondere sind 2015 noch 24 Haushalte im Defizit, wohingegen es 2016 nur noch 17 Länder mit Defizit sind. Die Zahlen stammen vom statistischen Amt der Europäischen Union Eurostat bzw. der EU-Kommission.
Nettokreditaufnahme des Bundes
Die Nettokreditaufnahme zusammen mit den Münzeinnahmen sorgen beim Bund dafür, dass eine Deckung des Finanzierungsdefizits ausgeglichen wird. Im Fall des Bundes bezieht sich das auf eine Lücke zwischen den Einnahmen des Bundes und den Ausgaben. Die Einnahmen beziehen sich beispielsweise aus den Steuereinnahmen, die der Bund jeden Monat von den Bürgern bekommt. Die Ausgaben des Bundes beginnen bei der Bundeswehr und führen bis zu den Straßensanierungskosten. Die Nettokreditaufnahme ist eine zentrale Kennziffer, die haushaltspolitisch eine sehr wichtige Rolle spielt. Sie informiert über die Entwicklung des Bundeshaushaltes und lässt auch einen Einblick auf den Schuldenstand des Bundes zu. Die Schulden des Bundes steigen mit jedem Jahr und somit steigen natürlich auch die Ausgaben für die Zinsen. Somit werden gleichzeitig die Spielräume für die Politik in Sachen Finanzen und Haushalt sehr stark eingeschränkt. Aus dem Grund ist es wichtig, dass der Bund dafür sorgt, dass die Nettokreditaufnahme so gering wie möglich gehalten wird und am besten sogar Null beträgt.
Bei der Aufnahme eines Kredits gilt der Artikel 115 aus dem Grundgesetz, der die Höhe nach bestimmten und bestimmbaren Ermächtigungen festlegt.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 115
(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.
(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.
Die Höhe der Neuverschuldung ist beschränkt und wird als sogenannte Schuldenbremse bezeichnet. Somit ist klar, dass auch der Bund sich nicht immer weiter verschulden darf. Grundsätzlich sollten alle Haushalte von Bund und Ländern ohne Kredite auskommen, das ist im Artikel 109 des Grundgesetzes festgelegt. Aufgrund der Regel müssen Neuverschuldungen schrittweise durchgeführt werden. Diese Regelung gilt seit 2011. In den letzten Jahren ist die Nettokreditaufnahme immer weiter eingeschränkt worden, um dafür zu sorgen, dass der Bund und die Länder sich nicht ohne Übersicht und Struktur immer weiter in die Schulden treiben. Seit 2016 ist die strukturelle Nettokreditaufnahme des Bundes weiter eingeschränkt worden und liegt zurzeit bei 0,35% des Bruttoinlandsprodukts.
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