Der Kreditmarkt befindet sich auf einem Schrumpfkurs: Die Vergabe neuer Darlehen an deutsche Unternehmen und Selbstständige wird voraussichtlich im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr deutlich abnehmen. Nach einem leichten Rückgang im ersten Halbjahr prognostiziert die Förderbank KfW einen drastischen Rückgang im Kreditneugeschäft im dritten und vierten Quartal. Diese Einschätzung basiert auf dem aktuellen Kreditmarktausblick, den die KfW exklusiv für das Handelsblatt erstellt hat. Die anhaltende Flaute begrenzt die Möglichkeiten für Banken und Sparkassen, im derzeit besonders ertragreichen Geschäft mit Krediten und Einlagen Geld zu verdienen. Die KfW geht davon aus, dass die „Talsohle des Kreditwachstums“ voraussichtlich im dritten Quartal mit einem prognostizierten Rückgang von 15 Prozent erreicht wurde. Für das vierte Quartal des Jahres erwartet die Förderbank nun nur noch ein Minus von zehn Prozent.
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Erholung in 2023 in Sicht
Die Bank erklärt, dass voraussichtlich erst im Verlauf des Jahres 2024 eine Rückkehr in den positiven Bereich zu erwarten ist. Bis zu diesem Zeitpunkt erwartet sie eine seitwärts bis leicht abwärts gerichtete Entwicklung der Kreditneuzusagen an Firmenkunden.
Einige Gründe für den Rückgang sind auf das starke Kreditgeschäft im vorherigen Jahr zurückzuführen, wodurch der Einbruch im Vergleich besonders deutlich ist. „Aber auch von Quartal zu Quartal rechne ich für das dritte Quartal mit einem Rückgang“, erklärt die Chefvolkswirtin der KfW, Fritzi Köhler-Geib.
Zur Ermittlung des Kreditneugeschäfts analysiert die KfW vierteljährlich die Veränderungen im von der Bundesbank erfassten Kreditbestand und trifft Annahmen über die planmäßigen Tilgungen, also die erwarteten Kreditrückzahlungen, da diese in die Berechnungen einfließen müssen. Die KfW schließt Wohnungsbaudarlehen und Kredite an Versicherer und Finanzierungsinstitutionen aus den Daten der Bundesbank aus.
Die Erkenntnisse der KfW-Analyse decken sich mit den Beobachtungen von Bankvorständen. Die Commerzbank verzeichnet ebenfalls im zweiten Halbjahr 2023 eine verhaltene Kreditnachfrage. Firmenkundenvorstand Michael Kotzbauer äußerte kürzlich: „Wir Banken würden uns über mehr Nachfrage freuen. In meinen Augen wird zu wenig investiert, wenn man sich ansieht, welche transformatorischen Aufgaben wir vor der Brust haben.“
Sein Kollege Jan Kupfer von der Unicredit-Tochter Hypo-Vereinsbank sieht die Situation ähnlich. „Die Banken sind bereit zu finanzieren, aber es besteht keine Nachfrage“, erklärt er. Dabei entwickeln sich einzelne Branchen sehr unterschiedlich. In der Immobilienbranche, im Bauwesen, in der Chemieindustrie und im Maschinenbau, die unter einer geringen Kapazitätsauslastung leiden, ist auch der Bedarf an Finanzierungen gering. Hingegen läuft es im Bereich Dienstleistungen relativ gut.
Die Zinsen sind zu hoch
Die Gründe für die Kreditzurückhaltung sind eine Kombination aus hohen Zinsen, geringem Wachstum und pessimistischen Unternehmenserwartungen. Dies hemmt die Investitionsbereitschaft vieler Unternehmen.
Aus Sicht der KfW haben insbesondere die hohen Zinsen den stärksten Einfluss. „Die Finanzierungskosten für Unternehmen sind nach wie vor hoch, weshalb Unternehmen einen Anreiz haben, ihre Finanzierungsstruktur zu optimieren“, erklärt KfW-Chefvolkswirtin Köhler-Geib. „Zusätzlich dazu haben sich die Probleme in den Lieferketten entspannt, was es Unternehmen ermöglicht, ihre Vorrats- und Lagerbestände zu reduzieren.“
Im vergangenen Jahr sahen sich viele Unternehmen aufgrund von Störungen in ihren Lieferketten gezwungen, ihre Lagerbestände zu erhöhen. Dies führte aufgrund gestiegener Einkaufspreise zu höheren Ausgaben. Beides führte dazu, dass Unternehmen verstärkt Betriebsmittelkredite benötigten. Mittlerweile haben Betriebsmittelkredite jedoch praktisch keinen Einfluss mehr auf die Kreditnachfrage.
Die Bundesbank hatte im Oktober bereits in der Bank Lending Survey, einer vierteljährlichen Umfrage unter Banken zu Trends am Finanzierungsmarkt, festgestellt, dass Zinsen derzeit der entscheidende Faktor bei Kreditentscheidungen sind.
Kosten für Kredite sind zuletzt wieder gesunken
In letzter Zeit sind die Finanzierungskosten für Unternehmen zurückgegangen, wie Daten des Analysehauses Barkow Consulting zeigen. Die Kosten für einen fünfjährigen Kredit sind innerhalb von zwei Wochen um einen halben Prozentpunkt auf 4,06 Prozent gefallen.
„Ein vergleichbar starker Rückgang wurde zuletzt im März 2023 verzeichnet“, lautet die Feststellung von Barkow Consulting in einer Kurzanalyse. „Mit dem aktuellen Niveau erreichen die Kreditkosten für deutsche Unternehmen den niedrigsten Stand seit mehr als sechs Monaten.“
In den vergangenen Wochen haben Marktteilnehmer verstärkt auf Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank gesetzt, beeinflusst durch rückläufige Inflationsdaten und Äußerungen führender Notenbanker.
Allerdings empfinden viele Unternehmen dies als unzureichend. „Viele Unternehmen zögern, da sie in Zukunft mit günstigeren Finanzierungskonditionen rechnen“, erklärt Köhler-Geib. Ob und in welchem Ausmaß es zu Zinssenkungen kommt, ist jedoch noch unklar. Die KfW prognostiziert beispielsweise Zinssenkungen erst in der zweiten Jahreshälfte 2024. „Solange dies noch nicht eindeutig absehbar ist, werden uns zumindest die recht hohen Zinsschwankungen weiterhin begleiten“, so Barkow Consulting.