Der Bundesgerichtshof (BGH) stärkt Mercedes-Diesel-Käufern den Rücken, die ihre sämtlichen Ansprüche gegen Mercedes durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) an die finanzierende Mercedes-Bank abgetreten haben. Die formularmäßige Komplett-Abtretung aller Ansprüche wurde als unwirksam erklärt. Diese Entscheidung des BGH gibt einigen Tausend Mercedes-Dieselkäufern, die auf Schadenersatz wegen des sogenannten Thermofensters vor Gericht klagen, deutlichen Auftrieb. Schon seit einigen Jahren haben nicht nur Besitzer eines Mercedes Benz wegen des Diesel-Betrugsskandals vor Gericht geklagt. Auch VW und Audi sind hiervon betroffen. Meist geht es hier um Manipulationen an der Abgasreinigungsanlage dieser Fahrzeuge.
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Kauf eines Diesel-Neufahrzeugs mit Thermofenster
In dem vom BGH entschiedenen Fall hat der Kläger die Fahrzeugherstellerin, die Mercedes-Benz Group (ehemals Daimler AG), auf Schadenersatz verklagt. Der Kläger hatte im Jahr 2019 einen Mercedes GLC 250 als Neuwagen für etwa 55.000 Euro erworben. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet, in dem nach Ansicht des Käufers eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut ist, die die Abgasreinigung bei bestimmten Außentemperaturen reduziert oder ausschaltet (Thermofenster).
Schadensersatzklage zunächst abgewiesen
Das erstinstanzlich zuständige Landgericht (LG) und das in der Berufungsinstanz zuständige Oberlandesgericht (OLG) haben die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Begründung lautete, dass der Kläger nicht aktivlegitimiert sei. Er habe sämtliche Ansprüche gegenüber Mercedes an die Mercedes-Bank abgetreten, die den Großteil des Kaufpreises finanziert.
Abtretung sämtlicher Ansprüche mit Ausnahme der Gewährleistungsansprüche
Im Finanzierungsvertrag waren die AGB der Mercedes-Bank enthalten. Unter der Rubrik „Sicherheiten“ heißt es dort, dass der Darlehensnehmer sämtliche Ansprüche „gleich aus welchem Rechtsgrund“ gegen den Hersteller an die Mercedes-Bank abtritt. Ausgenommen von der Abtretung waren laut AGB lediglich mögliche „Gewährleistungsansprüche“ aus dem Kaufvertrag.
AGB-Abtretung bezieht auch Rechte nach Vertragswiderruf ein
Der BGH stellte zunächst klar, dass die Abtretungsklausel nach ihrer Formulierung so zu verstehen ist, dass sie mit Ausnahme der Gewährleistungsansprüche sämtliche mit dem Fahrzeugerwerb in Zusammenhang stehenden Ansprüche des Klägers gegen die Fahrzeugherstellerin umfasst. Der eindeutige Wortlaut erfasst auch solche Forderungen, die dem Darlehensnehmer als Verbraucher im Rahmen des nach Widerruf der auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung geregelten Rückabwicklungsverhältnisses nach § 355 Abs. 3 Satz 1, § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB entstehen.
Nach der Entscheidung des BGH ist eine derart umfassende Abtretungsklausel gemäß § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB nicht rechtsgültig. Die Klausel ermöglicht keine Wertungsmöglichkeit und weicht zu Ungunsten des Verbrauchers von zwingenden Rechtsvorschriften ab. Insbesondere führt die Abtretungsklausel im Falle des Widerrufs eines mit einem Darlehensvertrag verbundenen Kaufvertrags zu einer erheblichen Verschlechterung der Rechtsposition des Verbrauchers im Vergleich zur gesetzlichen Regelung in den §§ 358 Abs. 4 Satz 1, 355 Abs. 3 Satz 1 BGB, wonach der Käufer eine unabhängig von der Finanzierung geleistete Anzahlung sofort zurückfordern kann. Dieses Recht, das von der Abtretung erfasst wird, wird ihm verwehrt.
Nach Ansicht des BGH ist die Komplettabtretung daher mit grundlegenden gesetzlichen Bestimmungen unvereinbar. Da die Abtretungsklausel keine Möglichkeit zur Wertung enthält, kann die Abtretung auch nicht aufrechterhalten werden, indem man festlegt, dass zwingende Ansprüche des Käufers gemäß der gesetzlichen Regelung nicht von der Abtretung umfasst sind. Eine solche Auslegung würde einer unzulässigen Einschränkung der Geltung gleichkommen.
Die Unwirksamkeit der Abtretungsklausel erstreckt sich auf sämtliche Fallkonstellationen. Das Argument der Beklagten, dass das Widerrufsrecht des Käufers nicht Gegenstand des laufenden Rechtsstreits sei, akzeptierte der BGH nicht. Da die Abtretungsklausel den Käufer im Falle eines Widerrufs des Vertrages entgegen zwingender gesetzlicher Vorschriften benachteiligt, ist die Klausel insgesamt unwirksam und kann daher auch nicht im aktuellen Verfahren, das Schadenersatz- und Rückgewähransprüche betrifft, angewendet werden.
Der BGH hat das klageabweisende Urteil der Vorinstanz aufgehoben und den Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen. Dieses muss nun prüfen, ob die Beklagte dem Kläger aufgrund unerlaubter Handlung haftet.
Hintergrundinformationen:
Die Entscheidung des BGH dürfte für eine beträchtliche Anzahl von Mercedes-Diesel-Klägern, die den Kauf ihres Fahrzeugs über die Mercedes Bank finanziert haben, von großer Bedeutung sein. Bisher waren Schadenersatzklagen aufgrund der eingebauten Thermofenster gegen Mercedes häufig nicht erfolgreich, da dem Autohersteller Mercedes – im Gegensatz zu den VW-Fällen – oft keine betrügerische Absicht nachgewiesen werden konnte, die für einen Schadenersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung erforderlich ist.
Die Hürde wurde nun deutlich gesenkt. In einem wegweisenden Urteil hat der EuGH kürzlich entschieden, dass Autokäufer auch dann entschädigt werden müssen, wenn der Hersteller fahrlässig eine unzulässige Abgastechnik eingebaut hat (EuGH, Urteil vom 21. März 2023, C-100/21). Entscheidend für den weiteren Verlauf des Rechtsstreits dürfte daher sein, ob die von Mercedes verwendeten Thermofenster rechtlich als unzulässige Abschaltvorrichtung eingestuft werden. Der BGH wird in einem weiteren Verfahren am 8. Mai über diese Thematik verhandeln.